Perioden

Perioden im Leben von Erwin Bowien


Impressionen aus der Retrospektive von Erwin Bowien im Museum am Lindenplatz in Weil am Rhein. Die Ausstellung belegte das Komplette Museum für knapp einem Jahr zwischen 2013 und 2014. Es wurden anlässlich dieser Schau auch aufwändige Bauten erstellt, unter anderem, ein Diorama von Allgäuer Dorf „Kreuzthal-Eisenbach“ zwischen Kempten und Isny, in welchem sich der Künstler während des Krieges versteckte.


Die Familie Bowien

Die Familie Bowien – Ein Elternhaus zwischen der Schweiz und dem Markgräfler Land

Erwin Bowien (1899-1972): Landschaft bei Neuchâtel in der Schweiz, Aquarell, 1917
Erwin Bowien (1899-1972): Landschaft bei Neuchâtel in der Schweiz, Aquarell, 1917

Als Sohn ostpreußischer Eltern wuchs Erwin Bowien mit seinen Schwestern, Erika und Ursula, in der Schweiz am Neuenburger See auf, und besuchte dort eine französischsprachige Schule, das Collège Latin und wurde so früh zum Europäer. Nach den Erfahrungen im strengen Schiller-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg, wo er seine ersten Schuljahre verbrachte, eine völlig neue Atmosphäre. Immer wieder sollte Bowien beteuern, dass die Zeit in der Neuenburger Schule zu den glücklichsten seines Lebens zählte. So lernte der Knabe das schöne reine Französisch von Neuchâtel und erhielt, wie er empfand, durch die dortige Formung einige Züge der Schweizer Wesensart. Der Vater, Erich Bowien, ein vielgereister Architekt und Bauingenieur, war auf dem Wege nach Nordafrika in der Schweiz hängen geblieben und hatte in Zürich ein ostasiatisches Kunsthaus eröffnet. Viele exotische Besucher aus Indien, China und Japan weilten in der gemieteten Besitzung „ Villa Maujobia N° 07“, für lange Jahre Bowiens Elternhaus, in halber Höhe über dem Neuenburger See. In den Abendkursen von Professor Wiliam Racine erhielt der kleine Bowien seine erste künstlerische Ausbildung.


Erwin Bowien (1899-1972): Eines der ersten größeren Gemälde von Erwin Bowien, Ansicht des Dorfes Rochefort in der Schweiz, 1916
Erwin Bowien (1899-1972): Eines der ersten größeren Gemälde von Erwin Bowien, Ansicht des Dorfes Rochefort in der Schweiz, 1916

Erwin Bowien erstes Signet als Künstler. Dieses wurde auf seinen Bildern und Zeichnungen von 1917 bis ca. 1924 verwendet.


Brief von Adolph H. Neufeldt aus Ascona an Erwin Bowien im Haus Maujobia 07 in Neuchâtel im Jahr 1917
Brief von Adolph H. Neufeldt aus Ascona an Erwin Bowien im Haus Maujobia 07 in Neuchâtel im Jahr 1917

Mit siebzehn stellte er in der Galerie „Rose d´Or“ in Neuchâtel zum ersten Mal aus. Es gefiel den Schweizer Kritikern so gut, dass sie dem jungen Mann herzliche Ermunterung mitgaben. Carl Russ-Suchard, der Inhaber der Schokoladenfabrik Suchard, wurde der erste Mäzen des jungen Künstlers und erwarb zahlreiche Gemälde für seine Kunstsammlung. Diese Idylle wurde jäh durch Krieg und Soldatenzeit unterbrochen. Anfang der zwanziger Jahre versuchte Erich Bowien, Erwins Vater, eine Neugründung seines Geschäftes in Basel. Als er den Ruf erhielt im benachbarten Weil am Rhein den Flusshafen aufzubauen und zu leiten, zog die Familie ins nur wenige Kilometer, aber bereits auf deutscher Seite liegende badische Städtchen, Weil am Rhein. Der Vater wurde anschließend kaufmännischer Direktor des aufstrebenden Rheinhafens an den Toren von Basel und errichtete in der Bühlstraße ein Haus, in welchem er 1948 verstarb. Bowiens Mutter, von ihrem Sohn liebevoll betreut, sollte dort bis zu Ihrem Tode leben. Auch Erwin Bowien selbst schloss in diesem Haus seine Augen für immer.


Erich Bowien im Jahre 1915 auf Genesungsurlaub in Freiburg im Breisgau. Seine Gattin und seine Kinder waren aus dem schweizerischen Neuchâtel angereist um den Genesenden zu besuchen. Ganz rechts der junge Erwin Bowien.
Erich Bowien im Jahre 1915 auf Genesungsurlaub in Freiburg im Breisgau. Seine Gattin und seine Kinder waren aus dem schweizerischen Neuchâtel angereist um den Genesenden zu besuchen. Ganz rechts der junge Erwin Bowien.

Bowien im 1. Weltkrieg

Bowien an der Front im Argonner Wald

Erwin Bowien (1899-1972): Selbstbildnis als Soldat, 1918
Erwin Bowien (1899-1972): Selbstbildnis als Soldat, 1918

schon seit Wochen quälte mich der Gedanke, was von mir übrigbliebe, wenn ich eines Tages als Deutscher Soldat werden musste; denn auf den Gedanken, dass ich das umgehen könnte, kam ich gar nicht... . Wozu ich dann aber gelebt hätte, wenn ich im Kriege bliebe, darüber kam ich nicht hinweg …“. Am 03. September 1917, an seinem 18. Geburtstag, wurde Erwin Bowien aus seinem Schweizer Wohnsitz eingezogen und kam zum 15. Pionier-Bataillon nach Straßburg, einer Einheit, die sein Vater befehligte. Dieser war bereits 1914 als Hauptmann der Reserve eingerückt und beendete den Krieg als hochdekorierter Major. Nach einer schweren militärischen Grundausbildung wurde Bowien wegen seiner Französischkenntnisse – als Jüngster der Armee- in einer Nachrichtentruppe aufgenommen und wurde in die „Abteilung Arendt“ inkorporiert. Bei dieser Einheit handelte es sich um eine Abhöreinheit an der Front. Der Ihr zugewiesene Frontabschnitt reichte von Verdun durch die Ardennen bis in die Champagne hinein. Aufgabe dieser Abteilung war es, den französischen Sprechverkehr mitzuhören und zu übersetzen. Dies geschah in sehr engen Minenschächten, die Teilweise unter den französischen Linien gegraben wurden, um die Feldtelefone anzuzapfen. Der junge Bowien ist auch während seiner Soldatenzeit an der Westfront seiner Leidenschaft nachgegangen und zeichnete und aquarellierte in einem fort. Von seinen Kameraden wurde er der „Kleine Rembrandt“ genannt. Seine Feldpostkarten waren immer bebildert, er hat unter anderem seine Kriegskameraden und die zerstörte Kirche des französischen Dorfes Varenne gezeichnet und aquarelliert, aber auch Motive direkt an der Front wie einen frühlingshaft geblümten Einschlagskrater. Zu den ergreifendsten Arbeiten des 18-Jährigen zählt die Zeichnung eines Grabkreuzes, das Bowien im nächtlichen Argonner Wald anfertigte, als er zufällig auf das Grab seines am 17. Februar 1915 gefallenen Onkels stieß, dem Bruder seiner Mutter und Musikwissenschaftlers, Dr. Ernst Neufeldt, der im Alter von 34 Jahren bei Vaugois im Argonner Wald bei einem Sturmangriff der Franzosen gefallen war. 1918 nahm Bowien an der Ausstellung der Heeresgruppe Kronprinz in Charleville teil. Demobilisiert wurde er schließlich 1919 in Hannover. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, sollte diesen Orden aber nie erwähnen oder gar tragen. Er verbrachte anschließend ein halbes Jahr in einem Auffanglager für entlassene Soldaten in Konstanz am Bodensee, nahe seiner geliebten Schweiz. Seine Abscheu für den Krieg sollte er immer betonen. Ein ehemaliger Schüler von Ihm schrieb: „…er war ein Friedensfreund … bekanntlich herrschte in der Schule die Richtung nach rechts bzw. national, und wir waren als Jungen immer begeistert, wenn in der letzten Stunde vor den Ferien unsere Lehrer Erlebnisse aus dem Krieg erzählten. Herr Bowien passte das nicht, und er las uns aus dem Buch "Im Westen nichts Neues" von Remarque vor.“


Über den Künstler

Der Künstler Erwin Bowien, Maler und Essayist

Im Werksverzeichnis von Erwin Bowien sind mehr als 2800 hinterlassene Arbeiten katalogisiert. Immer noch werden regelmäßig neue Werke entdeckt. In diesem Nachlass steht die Pastellmalerei gleichrangig neben der Ölmalerei. Es ist die Bildausbeute aus vielen europäischen Ländern in fünf Jahrzehnten des künstlerischen Schaffens als rastlos Malender und unentwegt Zeichnender.


Erwin Bowien ( 1899-1972): Die erste große Muse des Künstlers – Frieda Enzenroß (1888- 1966)
Erwin Bowien ( 1899-1972): Die erste große Muse des Künstlers – Frieda Enzenroß (1888- 1966)

Die Frühphase in Bowiens Malerei

Die erste Phase verbindet sich mit der Bodensee-Region. Als 19 Jähriger verbringt Erwin Bowien ein halbes Jahr als demobilisierter Soldat in einem Auffanglager bei Konstanz. Später als Kunsterzieher ist er auf Probe in Hechingen. Es entsteht sein erstes Meisterwerk: Das Bildnis eines im Bodensee ertrunkenen Jünglings. Die Gestalt wird durch einen Kobaltblauen Umriss hervorgehoben, während über dem Gesamten ein ins grünlich-grau changierender Schimmer liegt. Eine Farbgebung die mit einem impressionistischen Duktus und einer leichten Melancholie für diese Schaffensphase charakteristisch ist.

In dieser Zeit fällt seine Bekanntschaft mit Hans Thoma „… Hans Thoma habe ich noch persönlich gesprochen. Als Zwanzigjähriger durfte ich ihm meine Arbeiten vorlegen, die er mit seinen durchdringenden Augen anschaute. Thoma schenkte mir eine Skizze, auf die er eine Widmung schrieb …


Solingen und die Familie Heinen - eine Schicksalhafte Begegnung

Erwin Bowien (1899-1972): Bettina Heinen als Kind, 1939
Erwin Bowien (1899-1972): Bettina Heinen als Kind, 1939

Erwin Bowien wurde 1925 als preußischer Beamter im Schuldienst an das Gymnasium Schwertstraße in Solingen zum Zeichenlehrer berufen. Er verlebte in der bergischen Industriestadt an der Wupper die einzige Phase seines Lebens mit einer festen Anstellung. 1927 lernte er den Redakteur Hanns Heinen und dessen Gattin Erna Heinen kennen, mit welchen ihm fortan eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Die Familie Heinen sollte zur eigentlichen Mitte im Malerleben von Erwin Bowien werden. Hanns Heinen, das Familienoberhaupt, Journalist, Verfasser von Gedichten und Prosa, von schmaler Statur, trotz einer gewissen Behäbigkeit in späteren Jahren, lichtes Haar über stets frischen Gesichtsfarben, unauffällige, randlose Brille, verhaltener Gestus, leise Stimme, „eigentlich“ wie er einmal von sich sagte, „ein Idylliker“. Als Chefredakteur des Solinger Tageblattes während des „Dritten Reiches“ laufend mit den damaligen Machthabern konfrontiert – z.B. durch jenen vielbeachteten, regimekritischen Leitartikel „Das Recht der Älteren“, dessen Tendenz der Partei-Parole „Jugend muss von Jugend geführt werden“ massiv entgegenstand, hatte als eine eindeutige Positionsbestimmung ein Bühnenstück mit dem bezeichnenden Titel „Spartakus“ geschrieben. In einem seiner Gedichte heißt es programmatisch „Ich bin ein Sozialist". Seine Frau, Erna Johanna Heinen, Tochter des Rektors Steinhoff, Mamms, wie sie von der Familie und nahen Freunden, Amiéla, wie sie von Bowien genannt wird – in Anspielung auf den Schweizer Philosophen und Schriftsteller Henri Fréderic Amiél. Immer in freier, allen zugewandter Haltung. Denken und Betrachten als schöpferische Essenz. Das Mutterkreuz, welches sie aufgrund ihrer vierfachen Mutterschaft angetragen bekommt, lehnte sie ab! Die beiden Söhne, Hanns, der ältere, im Typ dem Vater gleichend, Gunther, dunkel und fest, eher der Mutter näherstehend. Gabriele, die ältere Tochter, ist ein schönes, sehr ernsthaftes Mädchen, freundlich verhalten, intellektuell rege! Bettina, ein Rotschopf, ein Wirbelwind! Sie wird Bowiens Meisterschülerin. Heinene altes bergische Schiefernhaus war ein Hort der Kultur. Im literarischen und künstlerischen Salon, den die Dame des Hauses trefflich ausrichtete, trafen sich regelmäßige Kunstschaffende aus dem ganzen Bergischen Land. Die Hausherrin, Erna Heinen, rezitierte Gedichte ihres Gatten Hanns Heinen und moderierte Gespräche über Literatur, Kunst und Musik, wie überhaupt das Haus von Kultur erfüllt war. Dort lernt Bowien viele Kunstschaffende kennen. Nachhaltig beeindruckt blieb er vom indischen Schriftsteller Rabindranah Tagore. In diesem Hause und im Herzen dieser Familie behielt er zeitlebens einen wichtigen Platz!


Bowiens Exil in Holland

Erwin Bowien ( 1899-1972): Eine Dachkammer an der Prinzengracht in Amsterdam, 1936
Erwin Bowien ( 1899-1972): Eine Dachkammer an der Prinzengracht in Amsterdam, 1936

Nach etwas über einem Jahrzehnt der Ausbildung, unter anderem bei dem international berühmten Jugendstilmaler Robert Engels, der Ausübung des Lehrerberufes, zu seinen Schülern gehörte damals auch der spätere Bundespräsident Walter Scheel, und zahlreicher Reisen folgt einer seiner wichtigsten Schaffensphasen: Bowiens Hollandjahre!


Erwin Bowien ( 1899-1972): Landschaft am Meer in Nord Holland, 30er Jahre
Erwin Bowien ( 1899-1972): Landschaft am Meer in Nord Holland, 30er Jahre

Es ist ein Jahrzehnt der Zurückgezogenheit vom Ungeist des Nationalsozialismus! Für ein Jahrzehnt wirkt der Künstler in Nordholland in Egmond, Camperduin, Alkmaar und Hoorn. Es entstehen große Pastelle, Darstellungen von Dünen, Stränden, von der Nordsee und von Grachten, aber auch Genre-Zeichnungen, die sich dem holländischen Leben und dem Menschen verschreiben. Die Arbeiten dieser Zeit sammeln sich zu einem Grau-in-Grau, in welchem die verschiedensten Töne enthalten sind. Die Kreidefarbe wirkt oft vollkommen entmaterialisiert.


Erwin Bowien (1899-1972): Dampflokomotive im Bahnhof von Memmingen
Erwin Bowien (1899-1972): Dampflokomotive im Bahnhof von Memmingen

Eine Flucht quer durch Deutschland

Brief an den Kunstmaler Erwin Bowien ins Kreuzthal, datiert vom November 1945
Brief an den Kunstmaler Erwin Bowien ins Kreuzthal, datiert vom November 1945

… Am 10. Mai 1940 begann in der Morgendämmerung das Krachen der Bomben auf dem Flugfeld von Bergen ... . In der Luft kreisten die Flugzeuge mit dem Teufelszeichen, und ich musste den Ahnungslosen sagen, dass das Krieg bedeutete …“. Nach Kriegsausbruch und dem deutschen Überfall auf die Niederlande waren die Tage von Bowien in seinem geliebten Nordholland gezählt. Er wusste, es war nur eine Frage der Zeit bis die deutschen Besatzungsbehörden ihn „auf Herz und Nieren prüfen würden“. Er ersann einen tollkühnen Plan: „Ich ließ mir eine Reisebescheinigung für Deutschland ausstellen, weil mein Freund (Hanns Heinen) eine Einladung zu einer Ausstellung nach Solingen gesandt hatte … . Die Gestapo stellte mir eine Bescheinigung aus, die besagte, dass ich in Deutschland bleiben dürfe, solange ich wolle.“ Bowien blieb bis 1945! Da sein Pass nicht eingezogen worden war, das deutsche Wehramt in Holland für ihn als Auslandsdeutscher weiterhin zuständig blieb, nun aber keine Möglichkeit mehr besaß, ihn ausfindig zu machen, Bowien aber durch die ausgestellte Bescheinigung legal die besetzten Niederlande verlassen hatte, war eine Situation entstanden, in welcher die Behörden ausgespielt worden waren! Ein sehr gefährliches Husarenstück, denn er hatte nach wie vor keinen gültigen Wehrpass! Eine Ausweiskontrolle mit der Nachfrage nach dem Wehrpass und er wäre verhaftet worden! Nach einem Winter in dem zum Ausbomben bestimmten Solingen begab sich Bowien 1943 nach Augsburg. „… so kam ich 1943 zu Bekannten nach Augsburg. Nein, bei der Polizei brauchen Sie mich nicht zu melden, sagte ich alle sechs Wochen, ich reise ja bald ab, aber es wurde ein halbes Jahr daraus, ein lebensgefährliches halbes Jahr.“ Er wusste, dass er nicht zu lange an einem Ort bleiben durfte. Nach einem halben Jahr wurde er von einem Malerkollegen denunziert. Die Reichskulturkammer zeigte Erwin Bowien an und die Gestapo beschlagnahmte fünfundzwanzig Gemälde. Auf Besuch bei der Familie Heinen in Kreuzthal-Eisenbach und gewarnt vom Kunsthändler Vogl kehrte er nicht mehr nach Augsburg zurück! „… Die Gestapo beschlagnahmte zwanzig Gemälde … . Das war für mich das Zeichen zum Aufbruch … das gewonnene Geld erlaubte den anderthalbjährigen Aufenthalt im fernsten Allgäu…". Aber auch im tiefsten Allgäu war es gefährlich. Bei einer kleinen Zugfahrt zu einem benachbarten Ort wäre es beinah zum Schlimmsten gekommen: „… ich saß noch ein Weilchen mit ihm (Hanns Heinen) im Zuge. Da hörte ich, dass im Nebenabteil nach Militärzeugnissen gefragt wurde und konnte noch beizeiten adieu sagen. Nach dieser Erfahrung verließ ich das Adelegg nicht mehr.“ „Die dritte und bitterste Prüfung war der Aufruf zum Volkssturm. Der Chefarzt einer Lungenheilanstalt (Haus Tanne)… meinte: “Sie können doch Kriegsdienst tun“ „Natürlich“, erwiderte ich und war der Frage nach Militärpapieren enthoben. Aber es gab keine Waffen mehr, und so geschah außer ein paar Reden nichts. Panik hätte mich vernichtet.“ Die Geschichte von Erwin Bowien ist die unglaubliche Geschichte eines Mannes, der es verstanden hat, seine Ehre und seinen Anstand während des Krieges kompromisslos zu bewahren!


Erwin Bowien ( 1899-1972): Werkverzeichnis N° 178 - Winterlandschaft mit Alpenkette bei Isny, 1944
Erwin Bowien ( 1899-1972): Werkverzeichnis N° 178 - Winterlandschaft mit Alpenkette bei Isny, 1944

Allgäuer Phase in seinem Versteck in Kreuzthal

Nach dem erzwungenen Rückzug aus den weiten Landschaften Nord Hollands, entdeckt Bowien die Welt des Waldes und der Berge in seinem Versteck in Kreuzthal. Es ist seine fast zweijährige Allgäuer Phase wo er das Ende der Kriegsschrecken erlebte. Stille Landschaftsmalerei.


Erwin Bowien ( 1899-1972): In den Wäldern der Adelegg, 1944
Erwin Bowien ( 1899-1972): In den Wäldern der Adelegg, 1944

Kreuzthal–Eisenbach, ein Dorf am Ende der Welt in einem kreuzförmigen engen Tal irgendwo im Allgäu! Dies ist der Zufluchtsort, wohin es den „Kunstmaler“ Erwin Bowien für fast zwei Jahre verschlagen sollte, dem Maler der Dünen und der Grachten, der gerade zehn Jahre des Schaffens in den unendlichen Horizonten des Nordens hinter sich hat. Ruhe vor dem Sturm! Entdeckung einer neuen Welt! Der Maler muss sich auf eine neue Landschaft, ein neues Erleben einlassen! Die Schwärze einer Schlucht, der Silhouetten der Bergrücken, und der Wald, der überall die Ferne vom Vordergrund trennt, der Künstler empfindet diesen erst als bedrohlich: „… Von den Höhen über dem Tal steht dieser Wald wie ein Gitter im Bilde … er gibt der an sich so weiten Landschaft etwas Unheimliches ...“. Nach langem beschwerlichen Aufstieg durch den Wald, angekommen auf dem Höhenrücken, endlich der atemberaubende Durchblick auf die geliebte Schweiz, Bowien kommt ins Schwärmen: „…im Hintergrund schauen Säntis und Altmann in alter Feierlichkeit über den Pfänder, und deutlich sind Tödi und Glärnisch in der Tiefe zu erkennen, desgleichen die Scesaplana und die Silvrettaspitze und, ganz links, die Berge über Obersdorf … wäre nicht dieser Wald, der wie ein Sperrwald vor der Freiheit stand“. Viel Zeit für den Künstler nun sich mit dem Motiv „Wald" zu beschäftigen, aber auch die Silhouetten der Berge zu beobachten, sie lieben zu lernen. Die späteren jährlichen Malreisen in die Schweizer und bayerischen Berge, die wilden zerklüfteten Darstellungen der norwegischen Berglandschaften, wären sie ohne Kreuzthal denkbar?


Erwin Bowien (1899-1972): Impression am Bahnhof von Lindau (Bayern), 1953
Erwin Bowien (1899-1972): Impression am Bahnhof von Lindau (Bayern), 1953

Die Künstlerkolonie im „Schwarzen Haus“ zu Solingen

Rotes und Schwarzes Haus in Solingen
Rotes und Schwarzes Haus in Solingen

Faksimile von Erwin Bowiens Unterschrift, ca. 1955
Faksimile von Erwin Bowiens Unterschrift, ca. 1955

Erwin Bowien (1899-1972): Skizze von Erna Heinen-Steinhoff auf einem Balkon in Orselina bei Locarno anlässlich des jährlichen Aufenthalters der Künstlerkolonie zum schwarzen Haus im Tessin im Jahre 1952
Erwin Bowien (1899-1972): Skizze von Erna Heinen-Steinhoff auf einem Balkon in Orselina bei Locarno anlässlich des jährlichen Aufenthalters der Künstlerkolonie zum schwarzen Haus im Tessin im Jahre 1952

Der Lyriker und Schriftsteller Hanns Heinen (1895-1961) erwarb 1932 in der bergischen Stadt Solingen ein Fachwerkensemble bestehend aus zwei historischen Gebäuden. Im größeren der beiden, dem sogenannten „Schwarzen Haus“, entstand auf Betreiben der kunstsinnigen Hausherrin - Erna Heinen-Steinhoff (1898-1969), ein Literarischer Salon.

1945 zog - als erster Maler der sogenannten „Künstlerkolonie“ - der aus dem Exil wiederkehrende Künstler Erwin Johannes Bowien (1899-1972) dort ein. Dieses Haus mit dem kleinen Atelier nebenan, dem sogenannten „Roten Haus“, wurde fortan bis zur Mitte der 60er Jahre sein festes Domizil, von dem er aus das gesamte Bergische Land erwanderte und auf Leinwand bannte. Danach teilt Erwin Bowien sein Leben zwischen Solingen und Weil am Rhein auf; unzählige Reisen durch Deutschland mit dem Schaffensschwerpunkt: Darstellung des Rheinstromes von der Quelle bis zur Mündung unter besonderer Berücksichtigung der großen rheinischen Kathedralen. Als ständig Reisender unternahm er aber auch ausgedehnte Reisen in die Schweiz und nach Norwegen.

Er entdecke das Talent seiner kleinen Mitbewohnerin, der Tochter des Hauses - Bettina Heinen-Ayech (1937-2020) - welche er ab 1950 systematisch zur Künstlerin ausbildete. Ab 1955 kam der Hamburger Künstler Amud Uwe Millies (1932-2008) hinzu und bezog als dritter und letzter Maler den Ort. In den Jahren 1969 bis 1971 lebte und arbeitete der Bildhauer Ernst Egon Osländer (1928-2015) im Anwesen.


Aufbruch nach dem Krieg

Im Jahrzehnt nach dem Krieg ist Bowien zwischen der Schweiz und Norwegen unterwegs. Jährlich malt er im Tessin an einen Zyklus der Schweizer Städte, besonders aber hebt sich das jährliche Ausfliegen nach Norwegen, nach Gjövik am Mjösa See und auch immer wieder nach Sandnessjoen auf der Insel Alsten, wo Bowien „seine“ Landschaft in reinster Form findet - einer einzigartigen und rauen Landschaft die er genauestens erfasste. Hier tritt das Maßbewußte in Erscheinung, welches das Spätwerk Bowiens kennzeichnet.


Erwin Bowiens endgültige Signet als Künstler. Dieses wurde auf seinen Bildern und Zeichnungen ab ca. 1925 ununterbrochen verwendet.


Die großen Schaffenszyklen seines letzten Lebensjahrzents : Die Darstellung des Rheins von der Quelle bis zur Mündung als Europäische Lebensader, Der Norwegen Zyklus und der Zyklus der Schweizer Städte


Erwin Bowien (1899 - 1972): Reiseimpression. Bowien schuf auf seinen Reisen quer durch Europa tausende von Skizzen und Zeichnungen, Momentaufnahmen seines Lebens.
Erwin Bowien (1899 - 1972): Reiseimpression. Bowien schuf auf seinen Reisen quer durch Europa tausende von Skizzen und Zeichnungen, Momentaufnahmen seines Lebens.
Erwin Bowien (1899-1972): Der Rheinhafen von Weil am Rhein, 1959
Erwin Bowien (1899-1972): Der Rheinhafen von Weil am Rhein, 1959

Der große Schaffenszyklus seines letzten Lebensjahrzehnts war die Darstellung des Rheines von den Quellen in den Alpen bis zu seinen Mündungen in der Nordsee. Dieses Thema war sinnbildgebend für den aus europäischen Geist wirkenden Künstler. Die Motive: baumeisterlich aufgetürmte Landschaften und immer dramatisch werdende Stadtansichten. Es entstanden die wichtigsten Darstellungen rheinischer Dome: allein sechs verschiedene Ansichten des Kölner Doms, aber auch Breisach, Freiburg, der Domkirchen zu Worms und Speyer, der Münster von Straßburg und Thann oder auch der vielen Kirchen inmitten der oberrheinischen Weinberge. Die Bilder dieser Zeit beeindrucken durch Wucht, Spontaneität, kompositorischem Eigensinn und farblicher Atmosphäre. Er schreibt dazu: „... und seit dem Engländer Turner, der den Rhein von Köln bis Basel malte, hat sich kein Maler mehr für den ganzen Rhein interessiert. Für mich gehören aber auch die Rheinarme in Holland dazu, sowie der herrliche Rhein bis zum Bodensee und vom Bodensee bis zu den Quellen. Er ist unvorstellbar schön ...

Titel Erwin Bowien (1899-1972): Café Terrasse in Paris, 1962
Titel Erwin Bowien (1899-1972): Café Terrasse in Paris, 1962

Die großen Schaffenszyklen des letzten Lebens....

Der Norwegen und der Schweiz Zyklus

Erwin Bowien (1899-1972): Südnorwegische Impression, 1958
Erwin Bowien (1899-1972): Südnorwegische Impression, 1958

Während die Idee des „Rhein Zyklus“ eine Art politisches Vermächtnis war, er, der überzeugte Europäer wollte die Idee eines gemeinsamen Europas voranbringen, waren die anderen beiden großen Zyklen seiner letzten Schaffensjahre Produkte seiner Begeisterung: Bei einer Ausstellung in Bern – im Jahre 1952 - lernte der Maler Erwin Bowien eine Schweizerin kennen, die mit einem Norweger verheiratet war und am Mjösa See in Südnorwegen lebte. Sie war absolut begeistert von seinen Bildern und lud den Maler spontan ein nach Norwegen zu kommen, um dort zu malen.
Für Bowien, der bisher noch nie in Skandinavien war, ein unwiderstehliches Angebot. Es folgten daraufhin – bis zu seinem Tode – jährliche mehrmonatige Aufenthalte in Norwegen. Erst im Süden des Landes rund um den Mjösa See, anschließend auf Vermittlung eines norwegischen Zahnarztes auf die Insel Alsten in der Nähe des Polarkreises. Die „Nordlandsfahrten“ sollten bis zum Tode des Künstlers anhalten.
Bowien hatte zwar bereits 1934 eine für ihn sehr beeindruckende und bedeutende Reise durch Nordafrika getätigt, die Landschaft des Südens sollte aber nie „seine“ Landschaft werden.
Im Gegensatz dazu war die raue Schönheit des Nordens, die unberührte Natur die einer Wildnis sehr Nahe kam und das unglaublich klare Licht Norwegens die wirklich große Entdeckung seines künstlerischen Lebens. Er schrieb in seinen Memoiren: … es war „meine“ Landschaft.
Ab 1952 und trotz des niedrigen Budgets des immer in Geldsorgen lebenden Mannes, schaffte er es dennoch, jedes Jahr, für Monate, nach Norwegen zu fahren und intensiv zu malen.

 

Der „Norwegen Zyklus“, der ab 1952 bis zu seinem Tode kontinuierlich entstanden ist – Bowiens Interpretation des „Kosmischen Lichtes“ Lichtes des Nordens und der überwältigenden und unberührten Natur Norwegens. Der „Plein Air Maler – der Freiluftmaler“ wollte die Natur als solche wieder den Betrachtern seiner Werke näherbringen. Der „Schweiz Zyklus“ entstand nach den Monaten der absoluten Einsamkeit und „Einsiedelei“ in der überwältigenden Natur des Nordens mit seinen Wäldern und Fjorden. Hier war der Kontrast des urbanen Lebens und die Darstellung des „quirligen“ Alltags der Städte wichtig für den Künstler. Die Schweiz war das Land seiner Jugend, das Land wo er glücklich aufgewachsen war und wo die – ansonsten so zurückhaltenden Schweizer - Ihn mit offenen Armen aufgenommen hatten. So entstand – als Pendant zum "Norwegen Zyklus" in den selben Jahren der "Schweiz Zyklus". Es entstanden Darstellungen von Städten und Landschaften der Eidgenossenschaft, besonders aber des Berner und St. Galler Oberlandes aber auch des Tessin - wo sein geliebter Großvater, der Fabrikant und Reisender – Hans-Adolf Neufeldt – lange gelebt hatte und wo seine Schwester Ursula bis zu Ihrem Tode lebte – urbane Ansichten, Stadtveduten und Landschaften wurden auf Leinwand und Papier gebannt. Der „Onkel Bo“, wie er oft genannt wurde, wechselte nach dem Krieg resolut die Maltechnik. Die Pastellmalerei war von den 20er bis Anfang der 50er Jahre, sein bevorzugtes Medium.
Als er ab 1948 wieder in die Schweiz arbeitete und an Ölfarben kam, änderte er seine Technik. Die Pastellmalerei Bowiens, deren Höhepunkt in der Zeit seines holländischen Exils lag und in welcher er auch die Bezeichnung „Der Meister mit dem Pastellstift" erhielt ging langsam zu Ende und der Künstler wechselte seinem Schwerpunkt zugunsten der Ölmalerei.

Erwin Bowien und die Familie Bufe aus Weil am Rhein im Südschwarzwald, 1969
Erwin Bowien und die Familie Bufe aus Weil am Rhein im Südschwarzwald, 1969

Der Maler als Autor, Europäer vor der Zeit und Universalist

Die Briefe von Erwin Bowien, die er fast täglich schrieb, waren in der Regel bebildert. Dieser Brief entstand anlässlich einer Norwegen Reise am Mjösa See.
Die Briefe von Erwin Bowien, die er fast täglich schrieb, waren in der Regel bebildert. Dieser Brief entstand anlässlich einer Norwegen Reise am Mjösa See.

Bowien war aber nicht nur Maler, sondern auch Philosoph, Lyriker und Novellist, der noch schwer durch Krankheit beeinträchtigt seine Autobiographie verfasste. In der Mitte seines literarischen Nachlasses stehen die lebenslang geführten Tagebücher, angefüllt mit Betrachtungen, Reflexionen, Gedichten und Gesprächen. Das wichtigste ist sein auf französisch geschriebenes Tagebuch aus dem Jahre 1944/1945 „Les Heures perdues du Matin, Journal d´un Artiste peintre, Alpes Bavaroises 1944-45“. Von Bowien exsistieren noch unveröffentlichte Manuskripte: „Die Schule der Dilettanten", eine Novellensammlung aus der Hollandzeit des Künstlers und „Getragene Kleider“, einem seiner Schweizer Jahren gewidmetes Buch, harren immer noch der Bearbeitung und der Herausgabe.


Erwin Bowien, welcher Zeitlebens keinen Führerschein besaß, war auf Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Diese Zeichnung entstand im Jahre 1953 auf einer seiner vielen Busfahrten.
Erwin Bowien, welcher Zeitlebens keinen Führerschein besaß, war auf Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Diese Zeichnung entstand im Jahre 1953 auf einer seiner vielen Busfahrten.